Jewgeni Kissin
Leider habe ich Emil Gilels nicht im Konzertsaal erleben können (er schied aus dem Leben, als ich gerade erst 14 wurde, und in Moskau, wo ich geboren und aufgewachsen bin, eine Karte für eines seiner Konzerte zu ergattern war praktisch unmöglich), doch seit meiner Jugend bis zum heutigen Tag höre ich mir ständig die Aufnahmen dieses großen Künstlers an, höre – und lerne.
Das Studium von Gilels’ musikalischem Nachlass ist seit vielen Jahren ein fester Bestandteil meiner Arbeit, und je mehr ich höre, desto mehr bin ich von der Kunst dieses großen Musikers fasziniert, dieses hochkarätigen Meisters. Gilels’ unerschöpfliche Tiefe und enorme innere Stärke, sein „Löwengriff“, sein goldener Klang und diese höchste pianistische Meisterschaft, das alles war mir immer ausgesprochen nah und ist jedes mal faszinierend, aufregend, mitreißend.
Die c-Moll- Sonate von Mozart, die „Hammerklavier-Sonate“ (in der Aufnahme des Konzerts in Moskau 1984) die d-Moll- und die h-Moll-Sonate von Scarlatti, das 2. Konzert von Saint-Saëns, die Preludes von Rachmaninow, die 3. Sonate und die „Visions fugitives“ von Prokofjew, die 2. Sonate von Schostakowitsch – all diese und viele andere Aufnahmen von Gilels gehören zu den größten Meilensteinen der Interpretationskunst, und die Tatsache, dass Gilels uns solch großartige Beispiele musikalischer Interpretation verschiedenster Epochen und Stile hinterlassen hat, ist ein großes Glück für alle Musiker und Musikliebhaber auf der ganzen Welt.
Paris, Juli 2006